Sie klatschte nie

Veza+Canetti%2C+Foto+Franz+Baermann+Steiner+%28um+1952%29Der Murkl sagt, jetzt kennt er mich 14 Jahre und ich bin ihm schon schrecklich fad. Er sagt, er will mich Ihnen anhängen, ohne dass Sie (es) merken, er will mich loswerden. Er sagt, Sie haben ein so mitleidiges Gefühl für alte Weiber und er wird Sie mit mir anschmiern. Sie werden noch glauben, es geschieht Ihnen zu Gefallen, so schlau wird er es machen. Und wird mich los. Werden Sie mich wirklich nehmen? Ich koste garnichts, kann eine sehr gute Nusstorte machen, Slatko, Schinkenfleckerl, Vanillekipferl, braune Eier, Linzertorte und Müsli.* Ich verlange keinen Lohn, nur Kino ein Mal die Woche. Wenn Sie neben mir sitzen braucht der Film auch nicht zu laufen.

*Ich kann sehr gut typen, ich schreib Ihnen Ihre Forschungsarbeiten ab, 5 Kopien. Auf meinem Maschinchen.

Briefe an Georges_ Elias Canetti, Veza Canetti (Veza an Georges, 1938)

 

Schon bevor Elias die acht Jahre ältere Venetiana Taubner-Calderon, genannt Veza, 1934 in Wien geheiratet hat, korrespondierten sie mit Elias` jüngerem Bruder Georg (Georges), der als Arzt und Tuberkuloseforscher in Paris lebte.  Er erkrankte 1934 selbst an einer kavernösen Lungentuberkulose, mit der er viele Jahre zu kämpfen hatte. Vier Jahre später gelang Elias und Veza die Flucht vor dem Nazi-Regime nach London, wo sie meistens getrennt in verschiedenen Unterkünften wohnten.

Unabhängig von einander und oft heimlich schrieben sie an Georges. Es geht um den Kampf um literarische Anerkennung für Elias, um Geldschwierigkeiten Oft ziemlich herrisch verlangt Elias Geld von seinen Verwandten. Sein älterer Bruder Nissim schreibt noch 1948 an Georges, wie sehr er sich darüber ärgerte: „Und doch muss ich ihm einen ärgerlichen Hang zum ´Parasitentum`vorwerfen, das ihm so selbstverständlich vorkommt, dass er es gar nicht merkt. (…) Elias aber findet es ganz normal, von rechts und links (und vor allem bei den Verwandten) Vorschüsse und Darlehen zu nehmen …“ Daneben  sorgen sich beide um Bruder bzw Schwager, der immer wieder quälende Operationen über sich ergehen lassen musste.

Die meisten Briefe stammen von Veza. Zärtlich, schwärmerisch wie eine ältere Geliebte schreibt sie ihrem Schwager, ihrem „geliebten Georges“, ihrem „Ritter“, der „besser als Proust“ schreibe, dem sie „immerzu die Bazillen wegküssen“ möchte. Eine platonische Beziehung – Georges fühlt sich zu jungen Männern hingezogen.

Ihm erzählt sie offen von ihrer von Anfang an höchst problematischen Beziehung zu Elias. Von seine Wahnausbrüchen, in denen Canetti glaubt, sie sei seine tote Mutter, dann wieder meint er, sie wolle ihn erdolchen. Beim Teetrinken besteht er darauf, die eingeschenkten Tassen zu tauschen, aus Angst, sie könnte ihn vergiften. „Der Murkl wollte sich gestern mit einer Feile beide Augen ausstechen“, schreibt Veza dem Schwager am 13. Mai. Sie beklagt sich über seine Geliebten, die er von Anfang an hatte, duldet sie jedoch, damit es ihrem „Bauscherl“,  dem gütigsten Mensch, den sie kenne, einem «unentwickelten, bezauberndem, genialem Kind», gut geht. (Ihre Ehe war von anfang an platonisch, wohl nach eine Abtreibung so beschlossen.)  Nur wenn es dem „Murkl“ gut geht, kann er arbeiten. Und sein Werk ist das Wichtigste für Veza. Eine seiner Geliebten, Friedl Benedikt, war ihm von Wien nach London gefolgt. Sie darf zeitweise bei ihr wohnen, sie pflegt sie, als diese krank ist, sie kocht ihnen das Essen, während Elias im Nebenzimmer mit Friedl schläft.

Marie-Louise Motesiczky gehört ebenfalls zu der Menage à quatre, die Canetti selbst so beschrieb: “Eine klagt, die Andre torkelt, und die Dritte atmet durch Kiemen. Der glückliche Besitzer von drei ganz verschiedenen Frauen.” Die Klagende ist Veza, die Torkelnde ist Friedl, Marie-Louise die Frau mit den Kiemen. Motesiczky träumte häufig von Fischen, malte sie auch und hat Canetti davon erzählt.

In seinen Briefen an Georges, der ihm Vorhaltungen macht wegen seiner außerehelichen Beziehungen, stellt er sich als Getriebener dieser Frauen dar. Er könne nicht anders, müsse sie unterstützen, ohne ihn wären sie hilflos. An Veza schreibt Georges: „Und das soll mein Bruder sein! Das ist kein Mann, das ist ein Lumpen, ein Fußabstreifer, mit dem man nach Belieben umspringen kann! (…) Gewiss, ich liebe ihn; aber diese Liebe ist so unablässig durchkreuzt worden von Enttäuschungen – darüber, wie er mit seiner Mutter umgegangen ist, über seine Faulheit, über seine Schwäche in Bezug auf Geld, über seine Unfruchtbarkeit (…), über seine albernen Abenteuer, über seine Überheblichkeit etc. …“

Veza führt sein Korrespondenz, sorgt dafür, dass er seine Termine einhält. Als Elias einen Vortrag über Proust halten soll, arbeitet sie dessen komplettes Werk durch. Am 3. Mai schreibt er von einer Frankreich-Reise (mit Friedl) an Veza: „O Türmchen, Türmchen, wie ich diesen Proust liebe! Ich bin Dir mehr als dankbar dafür, dass Du ihn genau liest. Er ist so dicht, dass ich unmöglich mehr als zwei Bände ganz lesen kann, und ich wäre verloren ohne Deine genaue Hilfe.“ Er spielt ihr das hilflose Kind vor und Veza hilft mal wieder- zähneknirschend. Veza an Georges: „Ich habe für ihn den ganzen Proust – nicht gelesen, sondern durchgearbeitet, mit Notizen Einfällen etc. . . . Jetzt, wo ich ihm alles geebnet habe, wo die Schickse bei mir gewohnt hat, bei mir speist, hier mit ihm schläft und hier badet, sehe ich nichts ein: sind die Vorträge nicht fertig, so gehe ich zu meinem solicitor und reiche um die Scheidung ein.“

Aber sie bleibt bei Elias. Lektoriert und tippt weiter seine Manuskripte – eine mühsame Arbeit, denn sie ist ohne linken Unterarm geboren worden. Die Hand war am Ellenbogen angewachsen. Diese Behinderung wird totgeschwiegen. Und durch einen langen ausgestopften Ärmel cachiert. Seinem Jugendgenossen Ernst Fischer kündig­t Elias die Freundschaft, weil der das Geheimnis 1969 in seinen Memoiren schriftlich ausplaudert. Ein einziges Mal nimmt er indirekt Bezug auf diese Behinderung. In der «Fackel im Ohr» (1980) berichtet Canetti, wie ihm bei einer Lesung von Karl Kraus in der ersten Reihe eine Frau mit rabenschwarzen Haaren aufgefallen sei. Sie sei die Einzige, die bei Kraus’ Darbietung nicht klatschte. Eine höchst zynische Bemerkung. Warum sie nicht klatscht, schreibt er nicht.

Veza war aber nicht nur Muse und Unterstützerin von Elias, sondern eine eigenständige Autorin. Sie gehörte zum engeren Kreis um Karl Kraus, stand aber gleichzeitig dem Austromarxismus nahe. Sie publizierte Erzählungen in der Wiener-Arbeiterzeitung, die 1934 zu den wichtigsten und besten österreichischen Presseorganen gehörte, im Malik-Verlag und in Exilzeitschriften unter den Pseudonymen Veronika Knecht, Martha Murner, Martina Murner und Veza Magd. 1959 schrieb sie in einem Brief: „Ich selbst bin Sozialistin und schrieb in Wien für die Arbeiterzeitung unter drei Pseudonymen, weil der sehr liebe Dr. König mir bärbeißig klarmachte, `bei dem latenten Antisemitismus kann man von einer Jüdin nicht so viele Geschichten und Romane bringen, und Ihre sind leider die besten`“

Der Roman „Die gelbe Straße“ führt in das Wien der 30er Jahre. Die Ferdinandstraße in der Leopoldstadt ist die Gelbe Straße – die Straße der Lederhändler, Juden und kleinen Leute, wo „Krüppel, Mondsüchtige, Verrückte, Verzweifelte und Satte“ wohnten. Veza kannte sich hier gut aus. Wohnte sie doch selbst einige Zeit dort. Schauplätze sind die Trafik, wo es Tabak und Klatsch gibt, das Kaffeehaus und die Seifenhandlung, deren Besitzerin versucht, die Straße zu beherrschen. Der Roman besteht aus einer Reihe von lose zusammenhängenden Erzählungen, wobei die Nebenfiguren der einen Geschichte zu Hauptfiguren in der nächsten werden und wiederum in den Hintergrund treten. Veza ist eine scharfe Beobachterin. Sie versteht es, in kurzen knappen Pinselstrichen Personen plastisch, mit oft grotesken Zügen, zu beschreiben. Ihr Stil ist knapp und komprimiert, besteht oft nur aus kurzen Hauptsätzen. Ihre Dialoge oft ohne Sprechernennung sind sehr lebendig, wirken authentisch, mit einem leichten Wiener Klang. Wie nebenbei, ohne Wertung, liest man von Ungeheuerlichkeiten – Machtausübung durch Hunger, handgreifliche und sexuelle Gewalt – was das Ganze noch abgründiger macht.

Die Emigration nach England und die Kriegszeit verhinderten weitere Veröffentlichungen. Kurz nach ihrer Flucht 1939 schrieb sie den Roman „Die Schildkröten“, der erst 1999 zum ersten Mal veröffentlicht wurde. Der Roman hat autobiographische Bezüge und beschreibt die Anfänge der Nazizeit, als Österreich 1938 besetzt wurde. Er erzählt, wie der Schrecken erst langsam, unmerklich, immer größer wird. Wohnungen werden beschlagnahmt, Geschäfte geplündert, angezündet, Männer, Frauen und Kinder mit Lastwagen abgeholt. Wie geduldige Schildkröten, die sich in ihren Panzer zurückziehen, versuchen die Bedrohten, mit der Situation umzugehen.

Das Ehepaar Andreas Kain, Schriftsteller, und seine Frau Eva planen, mit einem heimlich gekauften Flugzeug zu fliehen. Aber der Plan scheitert und erst der tragische Tod von Andreas Bruder macht den Weg frei für eine Ausreise nach England.

„Sie werden enteignet mit Gewalt. Sie müssen ziehen, noch ehe sie reisen können. Das war klar. Man hat auch noch diesen Kelch zu leeren. Kain aus seinem ruhigen Zimmer zu führen, hinunter in die Enge, in die gefährliche Stadt, wo man ihn nicht kannte, wo er ein Geächteter war. Er wird in einem Raum mit seinem Bruder leben müssen, und das ist kein angenehmer Partner. Und man muss noch froh sein, dass es diesen Bruder gibt, mit der kleinen Wohnung und einem umgänglichen Hauswart. Der Hauswart ist der Herr über jede Mietpartei und man kann ihn sich nicht aussuchen. Man kann in ein Hotel ziehen und wird dort weggeholt und eingesperrt. Man kann zu freundlichen Ariern ziehen, die froh sind, Zimmer zu vermieten, aber nach einigen Tagen werden sie bestraft und man wird weggeholt und ins Konzentrationslager geschickt. man kann nicht zu Juden ziehen, denn ihnen werden die Wohnungen weggenommen, sie werden delogiert und familienweise in Einzelzimmer  gepfercht.“ Die Schildkröten

Schwer fällt es ihnen das Land zu verlassen. Wie sollen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten?

„Denn, es ist bitter, das Land zu verlassen.

Das Land verlassen.

(…)

Am schwersten überfällt es den Dichter. Die Sprache ist seine Seele, die Figuren, die er gestaltet, sind sein Körper. Er kann nur Atem schöpfen, wo seine Sprache lebendig ist, und sein Leben erlischt, wo er nicht mehr versteht und nicht verstanden wird. Vielleicht trifft dieser Satz den Dichter so sehr, obwohl der Entschluss schon längst in ihm reif ist. Obwohl er alles in sich zu einer Trennung zwingt. Obwohl er es wie eine gute Fügung ansieht, wenn ihm die Wanderung in ein fremdes Land gelingt, wenn sich eine neue Erde für ihn auftut, wenn er Einlass findet und nicht an der Schwelle zurückgewiesen wird. Wenn sein guter Name ihm den Weg ebnet in eine neue Heimat. Denn er weiß eines: Er wird nicht leicht seinen Weg antreten. Er wird ermattet weichen, es wird Kämpfe geben. Angst bis in den Tod. Die Angst herrscht jetzt im Herzen Europas, deren Bewohner die „Liebenswürdigen“ genannt wurden. Deren Häuser Geschichte waren. Deren Frauen Schubertlieder sangen. Die Angst trägt eine braune Uniform und die Swastika. Sie steigert sich in eine schwarze Uniform mit Totenköpfen. Sie erreicht den Höhepunkt in einem Führer, der nicht Menschliches an sich hat als seine Unmenschlichkeit.“ Die Schildkröten

Veza hat sich übrigens geweigert, nach dem Krieg nach Wien zurückzukehren, denn dort würden die Nazis „bald alle jüdische Pässe haben“, so urteilte sie über ihre Landsleute, was das Nichteingestehen von Schuld benennt. Auch schrieb sie: „Ich kann nicht nach Wien, mein Herz ist schon einmal gebrochen, wie ich wegmusste, noch einmal hält es das nicht aus.“

Als Schriftstellerin arbeitete sie nicht mehr. Den Lebensunterhalt finanzierte sie zum Teil durch Übersetzungen. Zum Beispiel unter dem Namen Veza Magd Graham Greenes Buch „Die Kraft und die Herrlichkeit“. Die englische Sprache lernte sie autodidaktisch.

Am 1. Mai 1963 starb sie mit 66 Jahren „nach jahrelanger Krankheit“, psychisch und physisch gebrochen. Schwer depressiv hatte sie mehrmals versucht, sich umzubringen, wie Elias seinem Bruder berichtete. Georges stirbt 1971 mit 60 Jahren an den Folgen seiner Tuberkulose-Erkrankung.

 

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18184Canetti-Briefe.fh11Die gelbe straßeDie Schildkröten

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5 Antworten zu Sie klatschte nie

  1. Druckschrift schreibt:

    Ein Beitrag, der unter die Haut geht und für den ich mich nur bedanken kann.

    Gefällt 1 Person

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