„Aristoteles sagt in der Poetik„, meinte Henry, „dass Gegenstände wie Leichen, die an sich schmerzlich zu betrachten sind, in einem Kunstwerk mit Genuss beschaubar werden können.“
„Und ich glaube, Aristoteles hat recht. Schließlich – welche Szenen aus der Dichtung haben sich uns am tiefsten ins Gedächtnis gegraben, welche lieben wir am meisten? Genau diese. Die Ermordung des Agamemnon, der Zorn des Achilles. Dido auf dem Scheiterhaufen. Die Dolche der Verräter und Caesars Blut – erinnern Sie sich, wie Suetonius den Leichnam schildert, der auf der Bahre fortgetragen wird, während sein Arm herunterbaumelt?“
„Der Tod ist die Mutter der Schönheit“, sagte Henry.
„Und was ist Schönheit?“
„Grauen.“
„Gut gesagt“, stellte Julian fest. „Schönheit ist selten sanft oder tröstlich. Ganz im Gegenteil. Echte Schönheit ist immer durchaus erschreckend.“
Ich sah Camilla an, ihr Gesicht, das von de Sonne überstrahlt war, und ich musste an die Zeile aus der Ilias denken, die ich so sehr liebe, wo von Pallas Athene die Rede ist und ihren schrecklichen strahlenden Augen.
„Und wenn Schönheit Grauen ist“, fuhr Julian fort, „was ist dann Sehnsucht? Wir glauben, wir haben viele Sehnsüchte, aber tatsächlich ist es nur eine. Welche?“
„Zu leben“, sagte Camilla.
„Ewig zu leben“, sagte Bunny, das Kinn in die flache Hand gestützt.
Der Teekessel fing an zu pfeifen.
Donna Tartt_Die geheime Geschichte
“ Die geheime Geschichte“ habe ich bisher vier Mal gelesen und werde es jetzt – nach deinem Tipp – zum fünften Mal lesen. Du hast einen wirklich fantastischen kreativen Blog … 🙂
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Danke schön! 🙂 Im Moment lese ich „Der kleine Freund“ und dann freue ich mich das neue „Der Distelfink“.
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„Der kleine Freund“ ist ebenfalls großartig. Und Danke für den Tipp zum „Distelfink“. Das Buch ist irgendwie an mir vorüber gerauscht … 🙂
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